Der Liebhaber ohne festen Wohnsitz by Fruttero & Lucentini

Der Liebhaber ohne festen Wohnsitz by Fruttero & Lucentini

Autor:Fruttero & Lucentini [Fruttero & Lucentini]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 0101-01-01T00:00:00+00:00


5.

Das nächste Ziel ist ein alter Laden in der Nähe der Lista di Spagna. Ein amüsantes Ziel oder so schien es jedenfalls vor dem Besuch des Ghettos. Es handelt sich um einen Altkleiderladen, der Mr. Silvera seit langem bekannt ist und der, wie eine schnelle, vom Hotel aus durchgeführte Erkundigung ergeben hat, immer noch existiert.

Undenkbar, unvorstellbar ist nämlich, daß Mr. Silvera bei dem Essen am Abend in neuen Kleidern erscheint. Bevor er sich auf einen trostlosen, noch fabriksteifen Smoking, auf einen tragischen Tuxedo von serienmäßiger Makellosigkeit einläßt, bleibt noch der sozusagen antiquarische Weg, die Hoffnung auf ein Kleidungsstück, das, ohne allzu angetragen, abgelegt, fremd zu wirken, doch ein wenig Vergangenheit aufweist, eine historische Patina, die Mr. Silveras würdig ist. Eine lustige Obliegenheit haben sie also jetzt, ein amüsantes Spiel der Körperausstattung erwartet sie.

Aber nach dem Gang durch das Ghetto hat sich die Atmosphäre verändert, auf dem Weg zu der ziemlich nahe gelegenen Lista di Spagna klingt Mr. Silveras Stimme in seinen eigenen Ohren übertrieben lebhaft, wie die eines Menschen, der um jeden Preis das Schweigen vermeiden will.

»Und sie haben ihnen nicht nur verboten, ihre Bücher zu drucken, sondern sie haben ihre Bücher auch von Zeit zu Zeit verbrannt, sie haben große Scheiterhaufen aus talmudischen Texten auf dem Markusplatz errichtet.«

»Wie gräßlich.«

So schleppt sich die Unterhaltung wie von selbst weiter, ohne Interesse mehr auf beiden Seiten. Vom Verbot, Bücher zu drucken, kommt man auf das, Stoffe zu weben, sogar Schleier, und von da — mühselig — auf den Behelf der strazzaria, das heißt, des Handels mit Lumpen und alten Kleidern, der traditionsgemäß in Venedig wie in vielen anderen Städten in den Händen der Juden lag.

Aber gehört auch dieser Laden an der Lista di Spagna Juden?

Ja, einem alten Juden mit Namen... mit Namen... Peres vielleicht oder Perez mit z.

Aber wann ist er, Mr. Silvera, zum letzten Mal da gewesen? Vielleicht damals, als die Pordenonefresken noch im Kreuzgang von Santo Stefano waren?

Nein, nein, viel später, vor drei, höchstens vier Jahren.

Um zu kaufen oder zu verkaufen?

Um etwas zu verkaufen. Einen Mantel, der zu warm war, einen Lodenmantel mit einem viel zu dicken Futter.

Ah, ach so.

Tatsache ist — überlegt Mr. Silvera, während sie den Campo San Geremia überqueren — , daß es allmählich eine schwierige Kunst wird, an der Oberfläche zu bleiben, vor allem mit einer Frau wie dieser, die mit einem starken Gespür für das stillschweigend Inbegriffene begabt ist. Übrigens beginnt das Nicht-Bestimmte, Nicht-Erklärte, Nicht-Gesagte nun auch ihn zu bedrücken, das »So-tun-als-wäre-Nichts« kostet auch ihn immer größere Anstrengung. In den letzten Stunden ist er ein paarmal drauf und dran gewesen, sich gehen zu lassen, was gewiß durch seine Müdigkeit bedingt war, aber auch — es hat keinen Sinn, das zu leugnen — durch die Gefühle, die Mr. Silvera seiner Gefährtin entgegenbringt, zu erklären ist.

Um aus diesem, was die Empfindungen angeht, gefährlich gestiegenen Wasser aufzutauchen und den Fuß wieder auf leichtsinnigeren, frivoleren Boden zu bekommen, nimmt Mr. Silvera ihren Arm (eine liebevolle, aber auch symbolische Geste) und fragt sie über diese Dame, die heute abend das Essen gibt, über diese Cosima aus.



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